Auf ein Wort zum Bilanzstichtag mit BEM-Fachbeirat Raimund Nowak
29. Dezember 2020 / FB-Statement von BEM-Fachbeirat Raimund Nowak zum Bilanzstichtag
Ich hoffe, dass Angela Merkel ein Buch über ihre Regierungszeit schreibt. Gerne würde ich darin lesen, wann sie gemerkt hat, dass sie von den Führern der Automobilindustrie »hinter die Fichte geführt« wurde. Schließlich hat sie vor zehn Jahren gemeinsam mit der Industrie das Ziel formuliert, bis 2020 eine Million Elektroautos auf die Straße zu bringen.
Nun ist Bilanzstichtag: auch bei großzügiger Einrechnung von Hybridmodellen landet man nicht mal bei der Hälfte. Bis etwa 2017 (wenn nicht noch länger) haben die Autohersteller (inkl. der Zulieferindustrie) darauf gesetzt, dass der Umstieg auf Elektroantriebe um fünf bis zehn Jahre verschoben wird. Es wurde nicht geschlafen, sondern sehr wachsam alles bekämpft, was den angestrebten Technologiewandel ernsthaft vorangetrieben hätte:
Alltagstauglichkeit bezweifelt, Umwelteffekte bestritten, Konkurrenten (TESLA, BYD etc.) runtergeredet. Spätestens 2016 war ja klar, dass die Hersteller in Deutschland gar nicht auf die Produktion von einer Million Elektroautos vorbereitet waren und auch keine größeren Anstrengungen unternahmen, dies zu ändern. Jeder Hersteller baute ca. 30.000 Alibi-eAutos pro Jahr und setzte sich dafür ein, dass man Autos mit großem Verbrennungs- und kleinem Elektromotor als eAuto wertet.
Wie hat die Politik reagiert? Sie hat das Spiel mitgemacht und die Schuld für die absehbare Zielverfehlung den Kund*Innen zugeschoben. Es gab zwar nicht genug Ware, trotzdem wurden Kaufprämien auf den Weg gebracht. OHNE Kaufpreisprämie hätten wir nicht ein eAuto weniger in Deutschland. Die Prämie verschafft den Herstellern die Möglichkeit, eAutos zu relativ hohen Preisen anzubieten. Der größte Effekt der Kaufpreisprämie ist die akute Zerstörung des Gebrauchtwagenmarktes für eAutos.
Von der Verfehlung des Ziels der eine Million Elektroautos in Deutschland geht die Autowelt nicht unter. Viel schlimmer ist, dass man das Ziel verfehlt hat die deutsche Industrie als »Leitanbieter für Elektromobilität« zu positionieren. In der Automobilwelt hat der Industriestandort Deutschland viel Boden verloren. Das liegt nicht daran, dass es in Deutschland zu wenige (und funktionierende!) Ladesäulen gibt oder die Mehrzahl der Autohändler keinen Bock hat, Elektroautos zu verkaufen. Es wurden und werden nicht genug und nicht die richtigen Fahrzeuge gebaut. Vor zehn Jahren wurde man ausgelacht, wenn man vor TESLA und chinesischen Herstellern gewarnt hat und eine europäische Batterieproduktion gefordert hat. Wie gesagt – ich warte auf ein Buch von Angela Merkel.
⇢ BEM-Fachbeirat Raimund Nowak