Das Beste aus zwei Welten
Auf einem alten Militärflugplatz nördlich von Berlin testet Siemens hybridelektrische Lkw, die wie Trambahnen mit Stromabnehmern ausgestattet sind. Die Elektro-Brummis könnten Minen oder Häfen mit Logistikzentren verknüpfen. Sollten solche Lkw künftig auf speziell ausgebauten Autobahnen fahren, ließe sich der wachsende Güterverkehr vom CO2-Ausstoß entkoppeln.
Jörg Grützner fährt seit über 30 Jahren Lkw. Seit rund einem Jahr ist er allerdings ausschließlich auf dem ehemaligen Flugplatz in Groß Dölln in der Uckermark auf Achse: als Testfahrer beim Projekt ENUBA, das Siemens zusammen mit dem Bundesumweltministerium betreibt. In dem Pilotvorhaben »Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen« untersuchen die Siemens-Ingenieure seit Juli 2010, wie sich der Straßengüterverkehr elektrifizieren lässt. Dazu haben sie eine Straßenbahn mit einem Lastwagen »verheiratet«, um das Beste aus den beiden Welten zu kombinieren – den elektrischen Antrieb einerseits mit der Flexibilität eines Straßenfahrzeugs andererseits.
Als Versuchsfahrzeuge dienen zwei serienmäßige Lkw, die mit einem seriellen Hybridantrieb ausgestattet wurden. Dabei treibt ausschließlich der Elektromotor die Achse an. Seinen Strom bezieht er entweder von einem Diesel mit angeschlossenem Generator, oder – wie eine Straßenbahn – von einer elektrischen Oberleitung. Eine solche ziert nun auch die ehemalige Rollbahn, die die Siemens-Forscher in eine elektrifizierte Teststrecke verwandelt haben: Auf einer Länge von 1,5 km erstrecken sich am rechten Rand der Bahn zwei parallele Fahrdrähte, alle 65 m werden die Leitungen von einem Masten gestützt. Den Trucks haben die Ingenieure neuartige Stromabnehmer verpasst, die automatisch am Fahrdraht andocken und alle Bewegungen des Lkw innerhalb der Fahrspur ausgleichen können. Beim Bremsvorgang wird die Energie als elektrischer Strom wieder in die Oberleitung zurückgespeist und kann von allen anderen Fahrzeugen im System genutzt werden. »Unsere Stromabnehmer sind im Gegensatz zu ihren Pendants bei Zügen oder Trolley-Bussen richtig intelligent«, erklärt Dr. Michael Lehmann, beim Siemens-Sektor Infrastructure & Cities technischer Projektleiter für ENUBA.
»Dank einer ausgeklügelten Sensorik weiß das System immer genau, wann der Lkw die elektrifizierte Spur verlässt.« In diesem Fall bügelt sich der Stromabnehmer automatisch ab. Und das funktioniert bis zu einer Geschwindigkeit von 90 Kilometern pro Stunde. Wird der Truck schneller, regelt der Motor automatisch ab.
»Die zusätzlichen 500 kg des Hybridantriebs fallen kaum ins Gewicht. Die Beschleunigung ist sogar besser als bei einem reinen Dieselantrieb, ansonsten fährt sich der Laster wie ein normaler Lkw,« so Jörg Grützner. Knapp 9.000 km haben er und sein Kollege bereits mit den neuen Trucks zurückgelegt – bislang ohne Zwischenfälle. »Und jetzt werden wir zur Straßenbahn«, freut er sich und biegt in den Abschnitt der Teststrecke ein, der mit einer Fahrleitung überspannt ist. Kaum merklich fährt der Stromabnehmer hoch und der typische Diesel-Sound erstirbt.
Geht es nach dem Bundesumweltministerium, könnten solche Trucks künftig auch auf normalen Autobahnen fahren und dort auf der rechten Spur an einer langen Oberleitung ihrem Ziel entgegenstromern. Rein technisch wäre das kein großes Problem, meint Siemens-Ingenieur Michael Lehmann. »Die Integration in ein bestehendes Verkehrssystem ist relativ einfach«, sagt er. »Zudem würde es keine Einschränkungen für andere Fahrzeuge geben.« Die Technologie könnte vor allem helfen, die steigenden CO2-Emissionen im Güterverkehr in den Griff zu bekommen. Denn die Lkw-Schlangen auf den Fernstraßen werden in Zukunft weiter wachsen, prognostiziert das Schweizer Beratungsunternehmen Progtrans. Demnach soll allein der Güterverkehr in Deutschland bis 2050 um 116 % gegenüber 2005 zunehmen. So wurden im Jahr 2011 laut Bundesverkehrsministerium knapp 3,4 Milliarden Tonnen an Waren auf Deutschlands Straßen transportiert – rund acht Prozent mehr als noch 2010. Entsprechend steigt auch der CO2-Ausstoß des schweren Straßengüterverkehrs, von heute rund 40 auf 100 Millionen Tonnen im Jahr 2050 – falls sich der Status quo der Technik nicht massiv ändert.
Das Ziel der EU-Kommission, die CO2-Emissionen bis dahin um 80 % gegenüber 1990 zu senken, würde in weite Ferne rücken. Die »Tram-Trucks« von Siemens könnten da eine vielversprechende Option sein, glaubt der Sachverständigenrat für Umweltfragen der Bundesregierung. Die Technologie, so das Beratergremium, könne helfen, den wachsenden Güterverkehr vom Anstieg der Klimagase zu entkoppeln. In einem aktuellen Gutachten empfehlen die Experten sogar eine Elektrifizierung aller einstellig nummerierten deutschen Autobahnen, immerhin eine Strecke von über 5.400 km.
In der Tat würde es nicht ausreichen, nur auf Schienenausbau, Effizienzsteigerung bei den Antrieben und eine optimierte Logistik zu setzen. Denn die Schiene alleine müsste ja nicht nur den Zuwachs an Lkw-Verkehr schultern, sondern auch den bereits existierenden Straßen-Güterstrom. Das würde eine Vervielfachung des Schienennetzes bedeuten. Zusätzliche Schienen würden zudem ein Mehr an Platz beanspruchen – Raum, der in dicht besiedelten Gebieten, wo die transportierten Güter am Ende konsumiert werden, nicht vorhanden ist. Laut einer Studie von Progtrans, BMU und des Bundesverkehrsministeriums würden diese Maßnahmen den CO2 Ausstoß nur auf rund 60 Millionen Tonnen bis 2050 drücken – das Ziel der EU, die Emissionen bei etwa zehn Millionen Tonnen zu begrenzen, ließe sich nur mit der zusätzlichen Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs erreichen. Einzige Voraussetzung: Der Strom für die Elektro-Lkw müsste – im Gegensatz zu heute – größtenteils aus erneuerbaren Quellen stammen.
Zwischen 1,1 und 2,5 Millionen Euro pro Streckenkilometer veranschlagt der Umweltrat für die Infrastrukturkosten inklusive Randsicherungen und Oberleitung. Die Elektrifizierung einer ganzen Autobahn haben die Siemens-Experten aber erst mal ohnehin nicht im Sinn. »Mögliche Einsatzgebiete sehen wir zunächst auf hochfrequentierten Strecken über kurze und mittlere Entfernungen«, sagt Michael Lehmann. »Dazu zählen der Lkw-Pendelverkehr ohne Bahnanschluss, beispielsweise zwischen Güterverkehrszentren und Häfen oder auch die Anbindungen von Gruben und Minen an zentrale Lager- und Umladestellen.« In der Uckermark gehen die Arbeiten unterdessen weiter. In einem Folgeprojekt wollen die Wissenschaftler die Teststrecke umgestalten, mit Kurven, Schilderbrücken und Verkehrssteuerungsanlagen. Die Technologie soll optimiert und unter Bedingungen erprobt werden, wie sie auf normalen Straßen herrschen.
Florian Martini
»Pictures of the Future« Magazin
⇢ www.siemens.com/pof