Der Gesetzgeber steht auf der Leitung

16. Dezember 2019 / Artikel erschienen auf ⇢ background.tagesspiegel.de
Der Aufbau einer flächendeckenden Ladeinfrastruktur soll nach dem Willen von Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) beschleunigt werden. Darin sind sich Regierung und Wirtschaftsverbände einig. Großen Abstimmungsbedarf gibt es aber noch darüber, wie viele Ladestationen in welchem Zeitabschnitt gebraucht werden und wie die Kosten- und Arbeitsteilung aussehen sollen. Dies ergab ein Spitzentreffen am Freitag im Bundeswirtschaftsministerium.
An Appellen, schneller beim Aufbau der Infrastruktur zu werden, mangelt es nicht. Allerdings steht die Ministerialbürokratie selbst auf der Bremse – zum Beispiel bei der Reform des Wohneigentumsrechts (WEG).
Diskutiert wird darüber bereits seit 2016: In Häusern mit mehreren Eigentumswohnungen müssen bislang alle Eigentümer zustimmen, wenn in der Tiefgarage eine oder mehrere Wallboxen für Elektroautos eingebaut werden sollen. Gibt es ein Veto, scheitert das Projekt. Einen Rechtsanspruch haben Wohnungseigentümer nicht. Vermieter dürfen zudem Mietern die Installation einer Wallbox verweigern.
Kein »kabinettsreifer« Gesetzentwurf
Im Sommer hatte die Regierung angekündigt, noch im November/Dezember einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, der die baulichen Maßnahmen erleichtern soll. Allerdings will der Bund eine umfassende WEG-Reform, die nicht nur Änderungen im Kontext der eMobilität beinhaltet.
Nach rund drei Jahren hatte Ende August eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ihren ⇢ Abschlussbericht vorgelegt. »Bund und Länder werden den Abbau rechtlicher Hürden für den Ausbau der Ladeinfrastruktur wie etwa im Miet- und Wohneigentumsrecht entschlossen umsetzen«, hatte es noch Anfang Dezember bei der Ministerpräsidenten-Konferenz geheißen.
Doch der Zeitplan lässt sich nicht halten. »In diesem Jahr wird daraus nichts mehr, es gibt noch keinen kabinettsreifen Entwurf«, sagte ein Sprecher des Bundesjustizministeriums Tagesspiegel Background. Ein Referentenentwurf gehe in diesen Tagen zunächst in die Ressortabstimmung und danach an die Länder und Verbände. Da die »Praxis bislang noch nicht einbezogen« worden sei, werde diese zweite Runde wohl »länger dauern«.
Ins Kabinett käme der Entwurf dann frühestens Ende März 2020 – »wenn es gut läuft«, wie es heißt –, im Spätsommer dann in den Bundesrat, bevor die Reform dann zum Jahresende 2020 in Kraft treten könnte. »Die Umsetzung soll bis Ende 2020 erfolgen«, so steht es im ⇢ Masterplan Ladeinfrastruktur, den die Bundesregierung Mitte November verabschiedet hat. Nicht ausgeschlossen wird, dass es erst 2021 soweit ist.
Verbände wie der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Bundesverband Elektromobilität (BEM) oder der ADAC halten dies für viel zu spät (Background berichtete). Da künftig etwa 80 Prozent aller Ladevorgänge privat oder beim Arbeitgeber erfolgten, sei die langsame Gesetzgebung ein zentrales Hindernis für den zügigen Hochlauf der Elektromobilität.
Verbände fordern schnellere Entscheidungen 
Bis 2030 sollen eine Million Ladepunkte für zehn Millionen eFahrzeuge installiert sein. Die Regierung hält eine Million öffentliche Ladepunkte für notwendig, der BDEW nur 350.000 – weil überwiegend zu Hause geladen werde. Um dieses Ziel zu erreichen, brauche es 2020 einen deutlichen »Modernisierungs- und Beschleunigungsschub«, sagte der Verkehrsminister am Freitag. Die Genehmigungszeiten seien zu lang. Scheuers Satz, die Reform des Wohneigentumsrechts sei »auf dem Weg« ist also nicht falsch – der Weg ist freilich viel länger als geplant.
Bei einem Spitzentreffen Anfang November hatten Politik und Autoindustrie vereinbart, dass bis 2022 in Deutschland 50.000 neue Ladestationen entstehen sollen. Nach Angaben des BDEW gibt es aktuell rund 24.000 öffentlich zugängliche Ladepunkte in Deutschland – im Vergleich zum Dezember 2018 ist dies ein Zuwachs von fast 50 Prozent.
»Wir brauchen Entscheidungen, die ineinander greifen«, sagte Wirtschaftsminister Altmaier mit Blick auf das für Verbraucher bislang unübersichtliche Angebot von Anbietern, Abrechnungsmethoden und Ladetechnik. BDEW-Hauptgeschäftsführerin Kerstin Andreae hatte vor dem Treffen ebenfalls betont, es müsse eine engere Zusammenarbeit zwischen Politik, Energie- und Automobilwirtschaft geben. Die Energiewirtschaft sei in »enorme Vorleistung« beim Aufbau von Ladeinfrastruktur gegangen, ohne dass sich dies bislang für sie rechne.
Bund und Länder ⇢ fördern den Aufbau von Ladepunkten. Allerdings wird das Angebot kaum abgefragt, wie Scheuer einräumte. »Wir haben zu wenig Anträge.« Bei allen beteiligten Ministerien lägen bis dato nur etwa 50.000 Förderanträge vor.

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