Einfache Vernetzung von Mobilitätsanbietern
Aufgrund der hohen Anschaffungskosten und einiger wahrgenommener Nachteile, wie hohem Preis, geringe Reichweite, geringe Dichte an Ladesäulen/Lademöglichkeiten etc. ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Käufer für ein Elektrofahrzeug entscheiden, aktuell gering (siehe auch die Studie von Dudenhöffer/Bussmann in der NEUEN MOBILITÄT 07). Daher ist es notwendig, die Einstiegshürde möglichst niedrig zu halten, um viele potenzielle Nutzer mit Elektromobilität in Verbindung zu bringen. Das mit den Schaufenstern Elektromobilität verfolgte Ziel, nicht nur die Forschung im Bereich der Elektromobilität voranzubringen, sondern auch einer möglichst breiten Schicht der bundesdeutschen Bevölkerung zu direkter Erfahrung mit Elektrofahrzeugen zu verhelfen, erscheint vor diesem Hintergrund sehr sinnvoll. Insbesondere scheinen niederschwellige Angebote wie Carsharing oder Verbundprodukte ratsam, bei denen die Bürger einfach und risikoarm ein Elektrofahrzeug testen und ihren konkreten Mobilitätsbedarf optimal abdecken können.
Technische Basis für Koopkurrenznetzwerke bereitstellen
Sowohl Carsharing als auch Verbundprodukte benötigen in der Regel aber eine nahtlos integrierte Reisekette, die verschiedene Verkehrsmittel integriert, um Mobilität »von Tür zu Tür« zu erreichen. Dazu ist in der Regel eine Kooperation mehrerer Anbieter notwendig, die oftmals gleichzeitig in Konkurrenz zueinander stehen. Koopkurrenz (engl. Coopetition) ist ein Kunstwort, zusammengesetzt aus Kooperation und Konkurrenz und bezeichnet das zunehmend häufig vorkommende Wettbewerbsverhältnis, dass Unternehmen einerseits Wettbewerber, andererseits Partner sind.
So sind der klassische ÖPNV und Carsharing-Anbieter einerseits Wettbewerber um den Kunden, der innerstädtisch von A nach B kommen will; in vielen Fällen könnte deren Kombination jedoch sinnvoll sein. Wenn der Kunde beispielsweise mit der S-Bahn zum Standort eines car2go-Fahrzeugs fährt, um den innerstädtischen Berufsverkehr zu vermeiden, dann aber umsteigt, um mit dem Auto Besorgungen vor Ort vorzunehmen. Besonders einfach und damit attraktiv für den Kunden ist die Nutzung derartiger kombinierter Angebote, wenn sowohl Auskunft (»Wie komme ich am besten von A nach B?«), Preisauskunft (»Was kostet mich das?«) als auch Zugang (»Wie öffne ich das Fahrzeug? Habe ich die richtige Fahrberechtigung?«) und Abrechnung (»Wie und wo muss ich bezahlen?«) integriert erfolgen.
Um dies zu ermöglichen, müssen die Anbieter Daten miteinander austauschen. Da sie im Wettbewerbsverhältnis bleiben und der Datenschutz gewahrt bleiben muss, soll ein Datenaustausch aber nur die jeweils notwendigen Daten umfassen. Diese Daten sicher, zuverlässig und jederzeit aktuell bereitzustellen, stellt die Anbieter IT-seitig vor große Herausforderungen – insbesondere kleinere Anbieter wie örtliche Busunternehmer oder ein als e.V. organisierter Carsharing-Anbieter.
An dieser Stelle setzt das im Juni 2012 begonnene Forschungsprojekt Aprikose (Appliance zur Unterstützung von KMU bei der Erbringung komplexer Mobilitäts-Services) an: Ziel von Aprikose ist die Entwicklung einer Appliance, also eines vorinstallierten, vorkonfigurierten und sofort einsetzbaren IT-Endgeräts. Durch den Einsatz der Appliance und der im Rahmen des Projekts ebenfalls entwickelten begleitenden Softwarekomponenten und Dienstleistungen können KMUs im Bereich von Mobilitäts- sowie komplementärer Dienstleistungen sich einfach, kostengünstig und sicher vernetzen (sog. Koopkurrenznetzwerk) und gemeinsam attraktive Dienstleistungspakete anbieten, die international Vorbildcharakter haben und die Nutzung umweltfreundlicher Mobilitätsdienstleistungen vereinfachen.
Im Forschungsprojekt sollen in drei Stufen die Anforderungen an die Appliance ermittelt und jeweils in einem Prototyp realisiert werden. Die jeweiligen Prototypen werden bei ausgewählten assoziierten Projektpartnern im Probebetrieb getestet und auf Basis gewonnener Erkenntnisse weiterentwickelt.
Integrierte Verbundprodukte ermöglichen
In einer ersten Stufe wird die Kooperation von Unternehmen des ÖPNV untersucht. Hier steht mit dem e-Ticket Deutschland ein umfassender Standard zur Verfügung, der einen großen Teil der benötigten Funktionen und Prozesse spezifiziert. Auf dieser Basis kann zukünftig beispielsweise der Inhaber einer Hamburger Jahreskarte bei einem geschäftlichen Termin in Schwäbisch Hall Bus fahren, indem er beim Ein- und Aussteigen jeweils ein- und auscheckt. Am Monatsende erhält er – wie von der Mobilfunkrechnung gewohnt – eine Abrechnung, auf der sowohl die monatliche Gebühr für die Jahreskarte als auch die in Schwäbisch Hall gefahrenen Fahrten abgerechnet sind.
Dieses Szenario wird in der zweiten Stufe um Anbieter neuer Mobilitätskonzepte wie Carsharing und Leihfahrräder ergänzt, sodass auch Fahrten mit einem Pedelec im Urlaub im Schwarzwald auf der genannten monatlichen Abrechnung seiner ÖPNV-Jahreskarte abgerechnet werden können. In der dritten Stufe kommen Tourismusdienstleister wie Hotels, Schwimmbäder oder Museen hinzu, sodass komplexe, auf die jeweiligen Nutzergruppen abgestimmte Verbundprodukte angeboten werden können.
Nutzt jeder der Anbieter eine Appliance, so fungiert diese als Multiadapter für den Datenaustausch, verschlüsselt die Kommunikation und übernimmt im Falle eines Ausfalls eines der angeschlossenen Systeme die Zwischenspeicherung. Somit können die Anbieter ohne große Investitionen in ihre IT-Infrastruktur neuartige Angebote in ihr Programm aufnehmen, die den Kunden signifikanten Mehrwert bieten. Insbesondere Mobilitätsanbieter, die Elektrofahrzeuge nutzen, können durch geeignete Partnerwahl die Einstiegshürde deutlich senken, sodass eine große Zahl potenzieller Kunden die Vorteile elektromobiler Fortbewegung ausprobieren und »auf den Geschmack kommen« können.
Das Forschungsprojekt Aprikose wird vom BMBF auf Basis eines Beschlusses des deutschen Bundestags gefördert. Weitere Informationen unter www.aprikose.wi.uni-stuttgart.de.
Christophe Fondrier
Leiter Partnermanagement und Marktentwicklung
highQ Computerlösungen GmbH
Sixten Schockert
Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik II
Universität Stuttgart