Elektromobilität in Deutschland – Ein Statusbericht
Artikel aus der NEUEN MOBILITÄT 02 / Januar 2011
Prof. Dr.-Ing. Christian Voy, BEM-Beirat
Vor 18 Jahren starteten Herr Dr. Riesenhuber, in seiner Funktion als Forschungsminister, und Frau Merkel als zuständige Landespolitikerin in Binz das vom BMBF geförderte Projekt »Erprobung von Elektrofahrzeugen der neuesten Generation auf der Insel Rügen«. Das Forschungsvorhaben war seiner Zeit nicht nur mit Abstand das größte und vor allen Dingen wissenschaftlich fundierteste weltweit, sondern es demonstrierte eindrucksvoll die technologische Führung Deutschlands auf dem Gebiet der Elektromobilität. Dabei waren allein vier Unternehmen der Batterieindustrie mit einer Komplettfertigung in Deutschland angesiedelt. Wenn man den langen Zeitraum seit Abschluss des Projektes Ende 1996 betrachtet, drängt sich die Frage auf, was Industrie und Regierungsverantwortliche denn am Standort Deutschland aus diesem Wettbewerbsvorteil gemacht haben und wie bei uns heute der Status Quo der Elektromobilität zu sehen ist.
Elektromobilität ist unabdingbar für die Absicherung zukünftiger Mobilität
Um die globale Erwärmung auf zwei Grad Celsius weltweit zu begrenzen, wie unter den G8-Staaten grundsätzlich vereinbart, wäre bis 2050 eine Pro-Kopf-Emissionsreduzierung an CO2 um bis zu 85% gegenüber 2000 erforderlich. Daraus ergibt sich nach einer Studie von McKinsey für Deutschland als Industrieland in 2050 ein rechnerisches Reduktionsziel von 82 – 95% gegenüber 2005. Das liefe auf einen jährlichen Pro- Kopfausstoß von 0,7 bis 2,4 Tonnen hinaus – derzeit sind es 13 Tonnen. Setzen wir einen konstanten Anteil PKW-Verkehr an den Gesamtemissionen von 12,4% wie 2005 und eine leichte Reduzierung der Fahrzeugdichte, entsprechend der Vorhersage von 0,56 auf 0,52 Fahrzeugen/Kopf voraus, so müsste das CO2-Limit von 221 g/km im Jahre 2005 auf 43 g/km sinken, damit 2,4 Tonnen pro Kopf erreicht werden. Für 0,7 Tonnen pro Kopf wären sogar nur noch 13 g CO2/km über die gesamte PKW-Flotte zugelassen.
Für die Erzeugung Erneuerbarer Energien setzt McKinsey 30 g CO2/kWh an, damit fährt ein Elektrofahrzeug etwa 6,6 km, ein Brennstoffzellen-PKW ca. 3 km, das bedeutet für diese Fahrzeuge eine bezogene CO2-Emissionen von 4,5 bzw. 10 g CO2/km. Aus diesen Überlegungen resultiert die Erkenntnis, dass auch bei weiterer Optimierung der Verbrennungsmotoren bis 2050 68-93% elektrisches Fahren mit Strom oder Wasserstoff notwendig ist, um die gesteckten Ziele zu erreichen, selbstverständlich auf Basis Erneuerbarer Energien. Selbst wenn international die Ziele deutlich reduziert werden, könnte der notwendige Beitrag des PKW-Verkehrs zur Verminderung der CO2-Emissionen kaum ohne die Elektromobilität erbracht werden.
Elektromobilität hat ein hohes Marktpotential und kann neue Arbeitsplätze schaffen
Die eMobilität bietet zudem immense industrielle Wachstumschancen. Nach neuesten Studien von McKinsey soll das Elektro-/Hybridfahrzeug im Jahr 2020 einen weltweiten Marktanteil von bis zu 33% der Neufahrzeuge erreichen. Das würde weltweit ein Umsatzvolumen von 470 Mrd. € bedeuten. Der Anteil reiner Elektrofahrzeuge beträgt daran 110 Mrd. und der von Hybridmodellen 360 Mrd. €. Unter der Annahme gleich bleibender Marktanteile der deutschen Auto-mobilhersteller bedeutet das ein erschließbares Potential in Deutschland von 85 Mrd. €. Dieses optimistische Szenario baut auf einem Ölpreis von 110 US $/Barrel auf. Selbst eine konservative Schätzung mit 60 US $/Barrel ergibt für 2020 noch eine Marktgröße von 290 Mrd. €.
Für die weltweite Zulieferindustrie würde aus dem optimistischen Szenario ein Komponentenmarkt von rund 75 Mrd. € entstehen. Zwei Drittel, also 50 Mrd. € entfallen dabei allein auf die Herstellung geeigneter Batteriesysteme. Der daraus resultierende Beschäftigungseffekt wird bis 2020 auf rund 250.000 neue Stellen geschätzt. Diesen Wachstumschancen steht jedoch eine sinkende Anzahl verkaufter Fahrzeuge mit herkömmlichem Verbrennungsmotor gegenüber, wodurch bei den konventionellen Antriebskomponenten weltweit 46.000 Stellen zur Disposition stehen. Davon wird der Standort Deutschland auf Grund seiner starken Position im Bereich der Verbrennungsmotortechnologie besonders betroffen sein. Deshalb ist es dringend notwendig, die Technologieführerschaft im Bereich der Batterietechnik als bedeutendsten Wertschöpfer sicher zu stellen.
Industrialisierung der Elektromobilität in Deutschland verliert den Anschluss
Hochtechnologiebatterien sowie zusätzliche Komponenten für Elektro- und Hybridfahrzeuge können nur sehr kapitalintensiv produziert werden. Sowohl der erforderliche hohe Automatisierungsgrad als auch die benötigten hochqualifizierten Fachleute prädestinieren Deutschland als idealen Produktionsstandort. Aktuell verliert Deutschland jedoch im Bereich der Batteriefertigung eher den Anschluss an ausländische Konkurrenten. Nur 2% der heutigen Li-Ionen- Zellproduktion sind am Standort Deutschland angesiedelt, während die deutschen Autobauer für 20% der gesamten Weltproduktion an PKW stehen.
Da Li-Ionen-Zellen zentrale Komponenten der Elektromobilität sind, begibt sich die deutsche Automobilindustrie in ein nicht zu unterschätzendes strategisches Risiko. Hinzu kommt, dass die Budgets zum Ausbau der Elektromobiltät in Deutschland, höflich ausgedrückt, bescheiden sind. Die in Deutschland leider übliche »föderalistisch« auf Kleinprojekte ausgerichtete Förderung nach dem Gießkannenprinzip tut das Übrige dazu, dass wir drauf und dran sind, beim Zukunftsthema Elektromobiltät international die Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren. Innerhalb der EU hat Frankreich uns deutlich überholt, wie z.B. der von McKinsey definierte Electric Vehicle Index (EVI) mit 38,6% gegenüber 28,6% für Deutschland unzweideutig dokumentiert. Frankreich lässt sich alles in allem die Anschubhilfen für das Auto der Zukunft rund 2,2 Mrd. € kosten.
Elektromobilität muss in Deutschland eine integrierte Neuausrichtung wagen
Um die ehrgeizigen Ziele bei der Reduzierung von Treibhausgasen durch Einführung eines bedeutenden Anteils an Elektromobilität auch in Deutschland zu erreichen, sind drei Schwerpunkte zu setzen:
- Es ist eine Neuausrichtung der Forschungspolitik zu fordern und zwar in Richtung einer deutlichen Budgeterhöhung zur Sicherstellung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit und mehr Mut und Konsequenz zur Ausrichtung von Leuchtturmprojekten z.B. Mega-City-Projekten anstelle uneffektiver Zersplitterung der Fördermittel.
- Zur Erreichung des Ziels der Bundesregierung, bis zum Jahr 2020 eine Millionen eAutos in Deutschland auf die Straße zu bringen, und zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen, besonders auch in der EU, sind Kaufanreize für Elektrofahrzeuge in der Markteinführungsphase unabdingbar.
- Es müssen neue urbane Verkehrsstrukturen in unseren Großstädten initiiert werden, in denen das Elektroauto eine zentrale Rolle spielt und seine speziellen Vorteile voll zum Tragen kommen. Für den City-Verkehr hat z.B. BMW in seinem neuesten Flottenversuch resümieren können, dass weder Reichweite, noch Ladezeit, noch öffentliche Ladesäulen ein Problem darstellen, wohlgemerkt mit heute verfügbarer Technik. Und warum soll man den Menschen nicht vermitteln können, für notwendige oder wünschenswerte längere Reisen ein konventionell angetriebenes Fahrzeug zu mieten, ebenso wie sie für weitergehende Reiseansprüche selbstverständlich Bahn und Flugzeug benutzen. Die Absicherung der zukünftigen Mobilitätsbedürfnisse der Menschen, besonders unter dem Druck nachhaltig gestalteter Umweltpolitik, lässt sich nur mit komplexen, vernetzten Denkansätzen realisieren und nicht mit den überholten linearen Strukturen.
Prof. Dr.-Ing. Christian Voy
PROAUTOMOTIVE
Consulting – Projektmanagement
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⇢ Statusbericht in Deutschland