Kurs kann nur halten, wer einen Kurs hat

August 2020 / Brief & Sigl, Vision Mobility 08/2020
Neulich hatte ich ein Gespräch mit einem Kapitän. Ein Schiffs-Kapitän, solche die noch Fracht laden. Ich weiß nicht mehr warum, aber im Handumdrehen waren wir beim Thema Crew und Kurs halten. Ich wollte wissen, was er bei einem neuen Kurs anders macht, als bei gewohnten Strecken. Die Antwort war schnell klar: es geht alles über seinen Tisch, er zieht die Kontrolle an sich und wiederholt gebetsmühlenhaft das Ziel. Und ich dachte mir, was für ein Traum. Ein Kurs und ein Kapitän, das bräuchte es für die Elektromobilität. Die Überfahrt in das neue Zeitalter CO2-freier Mobilität ist der reinste Schlingerkurs. Das Klimapaket der Bundesregierung sendete im Juni noch viele gute Zeichen. Jetzt allerdings hören wir, dass Geld frühestens im nächsten Jahr fließen wird. Für manche Startups ist das knapp. Die Nachfrage für eAutos steigt trotz mangelhafter Ladeinfrastruktur an – das ist gut, doch die Autohäuser können nicht liefern, die hiesigen Hersteller wollen partout nicht in die Pötte kommen, sondern thematisieren ihren Stellenabbau. Der Chef von Bosch wirbt in der Wirtschaftswoche für eine Imagepolitur von Hybrid-Autos. Man ist geneigt, sich an den Kopf zu schlagen. Und müsste es gleich wieder tun, wenn man die Berichte zum Wasserstoff-Antrieb liest, der jetzt zur Rettungs-Technologie hochstilisiert wird.
In der Schifffahrt werden minimale Abweichungen vom Kurs gemessen und dann sofort korrigiert. Die Fahrrinne soll nicht verlassen werden. Für die Elektromobilität sehe ich einen Fluss, auf dem viele Tanker, Trawler, Böötchen und Segelboote völlig wild entlanggleiten, die Gäste am Ufer winken, während eine Fähre zum neuen Ufer nicht ablegt.
In Deutschland ist jetzt August. Die Urlauber kommen Heim und bringen vermutlich eine zweite Corona-Welle. Der öffentliche Nahverkehr erlebt seine schlechteste Auslastung, was Investitionen in neues Gerät und Diskussion um neue Mobilität umso mehr erschwert. Was also würde der Kapitän jetzt machen, bei so vielen Widrigkeiten? Kurs halten und das Ziel beschwören! Detaillierte Anweisungen geben, seine Vorkehrungen überprüfen. Tesla wird in Grünheide auch Batteriezellen bauen. VW hat den Digitalchef ausgewechselt und das Datum für den letzten Verbrenner vom Band definiert. Die KFZ-Steuer wird ab 2021 stärker an den CO2-Emissionen ausgerichtet. Und ZF hat eine Division Elektromobilität gebildet, für den Umstieg auf den neuen Antrieb. Es gibt sie, die Fahrrinne.
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