Mehr als nur ein Antriebswechsel – Herausforderungen der Neuen Mobilität
Januar 2021 / Behörden Spiegel / Das E-Mobility-Magazin 2020 mit einem Beitrag von BEM-Präsident Kurt Sigl
Es zuckelt sich vorwärts mit dem Umstieg auf die Elektromobilität. Deutschland ist sehr spät wach geworden bei der Erkenntnis, eigene Strukturen ändern zu müssen, wenn unser Leben und unsere Wirtschaft CO2-frei werden sollen. Noch immer gibt es keinen Masterplan für die Energie- und Mobilitätswende, kein kompaktes Programm, das die Verzahnung beider Bereiche mit ihren neuen Technologien vordenkt und zur Arbeitsvision für Politik und Wirtschaft macht. Stattdessen buddelt jeder in seinem Garten.
Auf das Pariser Abkommen, welches die deutliche Reduktion der industriegemachten Emissionen vorsieht, hat die Bundesregierung mit einem Klimapaket reagiert. Die Bundesministerien werden dadurch verpflichtet, ihre Resorts und Aufgabenbereiche zu durchleuchten und das neue Klimadenken zu forcieren. Doch in der Realität gerät diese Force zur Farce. Seit Monaten hängt die Reform des Wohn- und Eigentumsrechts fest, die es möglich machen soll, dass eAuto-Besitzer die notwendigen Wallboxen zum Laden der Fahrzeuge auch ohne Mehrheitsbeschluss einer Hausversammlung einbauen dürfen. Die Änderung ist seit über einem Jahr fällig und wird seitdem zwischen den Juristen hin- und hergeschoben. Ganz ähnlich verhält es sich mit der Gebäudeenergieeffizienz-Richtlinie. Obwohl sie längst geltendes Recht in der EU ist, wird sie in Deutschland nicht vorschriftsgemäß umgesetzt. Die Bauindustrie wehrt sich gegen den darin verpflichtenden Einbau von Lademöglichkeiten für eFahrzeuge in Neubauten. Die Frage der Kostenumlage möchten sie von oben geklärt haben. Und als sei dies nicht alles schon Verspätung genug, wird parallel zu den Rechtsstreitigkeiten deutlich, dass es für die Elektromobilität eine Branchen-Regulierung braucht. Im Jahr 7 nach dem Bau von Teslas erster Ladesäule in Deutschland. Die Bundesnetzagentur hat jetzt ein Anhörungsverfahren gestartet, während das Kartellamt bereits den ersten Missbrauchs-Vermutungen von deutschen Akteuren nachgeht. Aber Strafzahlungen werden schonmal in diesem Jahr fällig, wenn die CO2-Werte von Industrieunternehmen überschritten werden. Sie sehen es, Beobachter können hier nur mit dem Kopf schütteln.
Das ist sicherlich auch berechtigt, wenn man die Großen der deutschen Automobilwirtschaft beobachtet. Der Fingerzeig gilt also nicht nur der Politik, sondern auch den hiesigen Platzhirschen. Zu gern möchten heimische Autohersteller ihre zu Hauf produzierten Verbrenner-Fahrzeuge los werden. Zwar hat sich die Branche beim Corona-Hilfspaket eine dicke Abfuhr geholt, indem eben keine Kaufprämie auf alte Antriebe gewährt wurde. Aber die Versuche, über die Hybrid-Förderung doch noch Geld abzustauben, waren erfolgreich; obwohl die Technologie alles andere als umweltfreundlich ist, wenn die Ladekabel nur selten bis gar nicht genutzt werden. Eindeutige Konzepte für den Start in die neue Technologie gibt es nur bei VW. Alle anderen haben im Zerreden und Nebelkerzen-Werfen viel Zeit verloren.
So sind die Unwilligen mit den Unfähigen in einem Boot und wer sich wirklich um die Reduzierung der Abgaswerte verdient machen will, beginnt eine ganz individuelle Recherche. Welche Mobilitätsbedürfnisse hat unsere Gemeinde, was sind die geeigneten Fahrzeuge? Wie wird geladen, lässt sich das mit städtischen Unternehmen und anderen Bedürfnissen kombinieren? Wie sind die Liegenschaftsfragen, was ist unser Budget, können wir Ertragsmodelle mit dem Antrieb koppeln? Muss es Neukauf sein oder geht auch Retrofit? Ist der Fuhrparksmanager mit den richtigen Ressourcen ausgestattet und könnte ein lokales Startup bei Aufbau der Digitalisierung helfen?
Das alles macht deutlich, dass der Umstieg auf die Elektromobilität nicht nur ein Antriebs-, sondern ein Systemwechsel ist. Wem es gelingt, diesen Wandel zu meistern, der setzt Zeichen in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Das ist Management auf beiden Ebenen, von dem es in diesen Tagen eine gehörige Portion braucht; zur Anschauung für die Führungskräfte in den Amtsstuben, für die Wirtschaft als Ausdruck von Leitlinienkompetenz, für die Bürgerinnen und Bürger zum Vorleben umweltbewusster Kommunalstruktur und für die Weitergabe der Erfahrungen an unsere Kinder – als Beleg unserer Kompetenz.