Möge die Macht mit uns sein
Klimaerwärmung, Terror, Erdbeben, Wirbelstürme, Wetterkrisen und andere bestimmen die Nachrichten unserer Zeit und ganz besonders unsere Wahrnehmung derselben. Dan Rather, Nachrichtenmoderator bei CBS Evening News pflegte seinen Bericht jeweils mit den Worten »That’s part of our world tonight« zu beenden. Durch die mediale Vermittlung von Nachrichten erfahren wir, was in den verschiedensten Teilen der Welt geschieht. Und zwar in Echtzeit. Leider meist eher negativ. Selbst die Sportergebnisse sind nicht immer für alle zufriedenstellend. Unbestritten handelt es sich dabei um eine großartige Leistung der Informationsvermittlung, respektive der Massenkommunikation. Doch bei dem, was täglich in den Medien berichtet wird, handelt sich allenfalls um einen kleinen Ausschnitt der Realität.
Das genaue Verständnis dessen, was unter Realität zu verstehen ist, beruht auf den jeweils vorausgesetzten philosophischen Grundannahmen ontologischer und metaphysischer Art. In der Philosophie und auch bei einigen Politikern können die Begriffe Realität und Wirklichkeit sogar zwei voneinander getrennte Phänomene beschreiben.
Mit der Wahrheitsfindung und insbesondere der Akzeptanz aufbereiteter Wahrheiten durch Informationsmedien hat es also mehr auf sich, als sich täglich im Fernsehen, Hörfunk oder über Zeitungen zu informieren. Da sind zum einen unzählige On- und Offlinemedien, die alle mehr oder weniger die Meinung und Sichtweise einzelner Redakteure, bzw. deren Redaktionen vertwittern. Aufbereitete Wahrheiten, im allgemeinen Nachrichten genannt. Zum anderen muss beachtet werden, welche sozialen und politischen Filter diese Nachrichten durchlaufen bis sie beim Nachrichtenempfänger ankommen. 2 Tote in einer europäischen Stadt sind da schnell nachrichtenrelevanter als 1.000 verhungernde Kinder in den Entwicklungsländern täglich. Manche Nachrichten haben bereits einen alltäglichen Charakter; werden nicht mehr wahrgenommen, sind uninteressant. Der Nachrichtenwert ist in diesen Fällen nicht hoch genug. Zudem wird ein Großteil der Nachrichten zusammenhanglos und ohne kritische oder ergänzende Informationen vermittelt. Ausführliche Reportagen und Features, die, dem Pressekodex folgend, mehrere Quellen beachten und bei Konfliktsituationen beide Seiten zu Wort kommen lassen, sind deutlich unterrepräsentiert.
In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass zum Beispiel das rein deutsche Waldsterben als bedeutendstes Umweltthema seiner Zeit keine bemerkenswerte Aufmerksamkeit mehr genießt – verglichen mit der Nachrichtenflut zwischen 1981 und 1988 und den aufgezeigten zumeist kolportierten Schreckensszenarien, die viele noch aus ihrer Jugend kennen. Bemerkenswert, dass überhaupt noch Bäume stehen. Allerdings hatte das Medienphänomen erhebliche gesellschaftspolitische Auswirkungen und zeigt bedeutsam auf, wie Wirkmechanismen in zwei Richtungen funktionieren und Medien selbst Geschichten befördern können, die es ohne sie gar nicht gegeben hätte.
Bei der Entstehung von Nachrichten werden zwei Grundannahmen deutlich, nämlich dass (erstens) ein Ereignis durch (zweitens) einen Beobachter den Massenmedien mitgeteilt wird. Ereignisse werden häufig in verschiedene Arten unterteilt: Genuine und inszenierte Ereignisse sowie mediatisierte (mediengerecht aufbereitete) Ereignisse, die auch unabhängig von einer Berichterstattung stattfinden würden. Beobachter können nicht nur Journalisten vor Ort sein, sondern auch offizielle Stellen, die Veranstalter des Ereignisses oder zufällige Zeugen.
Nach dem Modell vom Nachrichtenfluss gelangen die Informationen über Ereignisse von den Nachrichtenquellen zu den Nachrichtenagenturen und von dort zu den Massenmedien. Die Nachrichtenagenturen haben weltweit eine besondere Bedeutung, weil sie international viele Korrespondenten haben und ihre gesammelten Informationen global verbreiten. Dadurch schaffen sie im internationalen Nachrichtenfluss einerseits ein weltweites Forum, durch das die Welt massenmedial zusammenrückt. Andererseits berichten sie aber meist aus dem Blickwinkel und den damit verbundenen Interessen der Industriestaaten (Demokratie, Marktwirtschaft, Wohlstand), während Länder der Dritten Welt eher einseitig dargestellt werden (Katastrophen, Konflikte, Korruption). Am wichtigsten sind die vier großen Weltnachrichtenagenturen, die amerikanischen Agenturen Associated Press und United Press International sowie die britische Nachrichtenagentur Reuters und die französische AFP, Agence France-Presse, die einen Großteil unserer täglichen Nachrichtendosis verabreichen.
In den Redaktionen der Nachrichtenagenturen und vor allem der Massenmedien werden die Informationen über Ereignisse weiter verarbeitet. Hier werden sie durch mehrstufiges Auswählen, Berichtigen, Ergänzen, Kürzen und Umschreiben zu fertigen Nachrichten umgearbeitet. Diese Vorgänge versucht man mit Hilfe nachrichtentheoretischer Modelle zu erklären, zu denen Nachrichtenschleusen und -faktoren sowie Nachrichtenregeln und -routinen gehören. So erreichen die Informationen durch die Massenmedien schließlich uns Mediennutzer.
Allerdings ist schon die Vorstellung einer Entstehung von Nachrichten durch eine Nachrichtenquelle missverständlich. Der Begriff Quelle unterstellt, dass aus ihr jeder Beobachter grundsätzlich denselben Ausfluss an Informationen abschöpft. Die Informationen über Ereignisse haben jedoch keine gegenständlichen Eigenschaften, die vom Beobachter neutral aufgenommen und weitergegeben werden. Vielmehr wird dasselbe Ereignis von zwei Menschen nie völlig gleich wahrgenommen. Jede Wahrnehmung eines Ereignisses durch einen Beobachter ist zugleich eine Konstruktion von Wirklichkeit.
So findet sich die subjektive Selektion und eine spezifische Erzähl- und Interpretationsperspektive der Quelle in jeder Nachricht wieder. Auch bei einer hohen Objektivitätsannahme wird der PS-Boliden-Befürworter einen anderen Artikel schreiben als ein Freund der Elektromobilität. Daher ist bei der Bewertung von Nachrichten ebenfalls die Bewertung der Quelle sehr wichtig, was nicht immer ganz einfach ist.
Natürlich besteht die Möglichkeit, selbst eine Recherche zu betreiben. Dank der digitalen Vernetzung und einem breitgefächerten Online-Angebot ist dies heute für viele Themengebiete kein Problem. Angesichts der unendlichen Fülle an Themen und Interpretationsmöglichkeiten ist es jedoch für den Einzelnen unmöglich, die ganze Wahrheit zu erfassen. In vieler Hinsicht ist man also auf die Art und Weise der Überlieferung durch die Medien angewiesen.
Als gesichertes Forschungsresultat gilt, dass Medien durch die Selektion und Aufbereitung von Themen Auswirkungen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene haben. Die Framingforschung liefert hierzu einen wichtigen Beitrag. Doch dass das Individuum nicht völlig machtlos der medialen Berichterstattung ausgeliefert ist, scheint naheliegend.
Persönliche Grundwerte, soziale Interaktion mit dem Umfeld oder eigene Erfahrungen sind nur einige Beispiele, die hoffen lassen, dass wir uns dennoch als mündige, zumindest semi-informierte Bürger bezeichnen können. Ein gesunder Menschenverstand ist hierbei immer von Vorteil.
So liefern wir mit der NEUEN MOBILITÄT und unseren On- und Offline-Medien einen echten Beitrag zur Klärung von Bedingungen und Einschränkungen des Mainstream-Medieneinflusses auf individuelle Bewertungen politisch oder sozialgesellschaftlich relevanter Themen. Wir stehen dabei in einer großen Verantwortung, unseren Rezipienten durch unsere Form einer positiven Berichterstattung realistische Handlungsszenarien aufzuzeigen, mit denen wir gemeinsam in der Lage sind unsere Welt, unsere Energie und unser Mobilitätsverhalten nachhaltig zu verbessern. Warum etwas nicht funktioniert, wissen wir doch alle schon..
Unsere Selektion und unsere Wahrnehmung trägt also in einem nicht unerheblichen Maß dazu bei, dass sich unsere Welt auch ein Stück weit in die von uns gewünschte Richtung entwickelt. In 2015 werden wir weiter daran arbeiten die Pferdekutschenbesitzer unserer Zeit und die politischen Reiter vom Zeitalter einer Neuen Mobilität in Kenntnis zu setzen, denn wir sind uns der Macht der Medien bewusst.
Editorial von Christian Heep, Vize-Präsident im Bundesverband eMobilität und Chefredakteur der NEUEN MOBILITÄT / Ausgabe 15 / Januar 2015