Ohne Sinn und Verstand?

Die Einführung elektrischer Fahrzeuge braucht einen Plan
Die Elektromobilität scheint an einem kritischen Punkt angekommen zu sein. GM stoppt die Produktion seines eFahrzeuges Volt, die Verkaufszahlen sind weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben. Auch andere Hersteller klagen: die elektrischen Autos werden kaum gekauft. Von Privatkunden schon gleich gar nicht. In ganz Deutschland sind zurzeit noch nicht einmal 5.000 Einheiten angemeldet. Wen wundert das? Wenn ein Auto das Dreifache kostet, aber nur die Hälfte kann, dann gibt es selbst in Deutschland nicht genug umweltbewusste Zahnärzte, die sich privat ein solches Auto anschaffen. Die Bilanz nach drei Jahren Diskussion um Elektromobilität fällt daher eindeutig aus: Wer Autos mit elektrischem Antrieb im Wettbewerb zu Autos mit konventionellen Antrieben anbietet, der wird damit scheitern. Gleichzeitig wissen alle Beteiligten, dass die industriepolitische Entscheidung, zukünftig stärker auf elektrische Antriebe zu setzen, mit Blick auf die Schlüsselmärkte in Asien richtig war. Denn in den großen Ballungsgebieten Chinas werden die verkehrspolitischen Spielregeln schrittweise verändert, der Raum für Verbrennungsfahrzeuge wird enger.
Man hat aber vergessen, die Konsequenzen für Deutschland zu bedenken. Wenn wir – wie von der Bundeskanzlerin deklariert – Leitanbieter und Leitmarkt werden wollen, müssen wir ähnliche Bedingungen in unseren Ballungsgebieten schaffen, wie dies in China und anderen Zukunftsmärkten zu beobachten ist. Elektrische Fahrzeuge müssen Teil einer Energie- und Verkehrswende sein.
Nur mit einer »gelebten Elektromobilität« wird man glaubhaft die Exportmärkte bespielen können. Dafür gibt es historische Lehrstücke: Der Transrapid war ab dem Zeitpunkt in China völlig chancenlos, als die Einführung in Deutschland abgesagt wurde. Es stellt sich jetzt heraus, dass der Plan fehlt. Elektrische Autos sind die Antwort: Aber auf was?
Beispiel urbane Mobilität
Autohersteller bedrängen Kommunen, ihren eFahrzeugen Privilegien im öffentlichen Raum einzuräumen. Aber warum sollten Städte und Gemeinden dem nachgeben? Dort herrscht ein ganz anderer Problemdruck: Wie soll man den Stadtbewohnern erklären, warum diese Fahrzeuge umsonst parken dürfen, von der Steuer befreit sind und noch andere Vorteile genießen sollen? Das ist nur zu begründen, wenn so Vorteile erzielt werden. Elektrische Autos müssen so eingesetzt werden, dass die Verkehrsbelastungen nicht verschärft, sondern gelöst werden. Dies kann nur gelingen, wenn sich die Nutzung konsequent vom Eigentum löst und die Fahrzeuge Teil einer öffentlich zugänglichen Flotte werden. Die Verkehrswende bedeutet, dass die Menschen beweglich bleiben, ohne dass jede und jeder ein eigenes Fahrzeug braucht. Die Prioritäten müssen ganz klar sein: der öffentliche Raum wird neu aufgeteilt, alle öffentlichen Verkehrsmittel haben Vorrang, alles was im Privatbesitz nur eine privilegierte Nutzung
erlaubt, wird teurer.
Beispiel Energieinfrastruktur
Elektrische Autos brauchen eine öffentliche Ladeinfrastruktur. Wer soll das bezahlen? Die Stromkonzerne haben schnell erkannt, dass selbst bei großen Stückzahlen mit dem Stromverkauf die Infrastruktur nicht zu finanzieren ist. Seit einem Jahr haben wir aber eine angekündigte Energiewende. Bis 2030 soll der Anteil der erneuerbaren Stromquellen auf mehr als 50 Prozent steigen, bis 2050 sogar auf 80 Prozent. Noch kann man sich so recht keine sichere Energieversorgung vorstellen, wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint. Dabei haben wir viel mehr natürliche Energien, als wir tatsächlich brauchen. Was fehlt ist eine stabile Versorgung, die nur mit neuen Speichern funktioniert. Je höher der Anteil der Erneuerbaren ist, umso volatiler wird die Versorgung und umso kostbarer wird die Speicherung. Elektrische Autos, die in Flotten betrieben werden, können hierzu einen wesentlichen Beitrag liefern. Eine intelligente Poolsteuerung ermöglicht eine Speicherverfügbarkeit, ohne dass die Nutzung der Fahrzeuge eingeschränkt wäre. Bereits eine intelligent eingesetzte Flotte von 1 Mio. Fahrzeuge würde den heutigen Kapazitäten aller verfügbaren Pumpspeicher entsprechen. Zudem sind eFahrzeuge sehr flexibel und daher besser für den kurzfristigen Spannungsausgleich im Netz geeignet.
Die Energiekonzerne haben dies bis auf wenige Ausnahmen noch nicht erkannt. Während die Autoindustrie am Paradigma der Rennreiselimousine festhält, kennen die Versorger nur zentrale Strukturen, in denen Großkraftwerke ausgedehnte Gebiete versorgen. Dass man den Strom dort produziert, wo man ihn braucht, kommt in dieser Geschäftswelt bisher nicht vor. Das vom Grundsatz sehr erfolgreiche Erneuerbare Energien Gesetz (EEG) muss daher modifiziert werden und den Schwerpunkt von der Produktion zur Speicherung von Erneuerbaren Energien verschieben: Wer verlässlich Speicherkapazität verfügbar macht, wird dafür belohnt. Ein garantierter Betrag von nur wenigen Cent pro potenzieller Kilowattstunde könnte einen ähnlichen Boom auslösen, wie wir es bei der Photovoltaik erlebt haben. Unter diesen Bedingungen werden intelligent eingesetzte Elektromobile dann tatsächlich auch bezahlbar: setzt man für ein vernetztes eFahrzeug ein »Speicherentgelt« von rund 800 EUR pro Jahr an, lohnt sich der Flottenbetrieb von elektrischen Fahrzeugen.
Was aber macht die Batterieforschung? Sie versucht dem Verbrennungsmotor nachzueifern und die Wunderbatterie für eine Reichweite von 500 Kilometer und mehr zu entwickeln. Dies bereits seit 100 Jahren – vergeblich. Es geht jedoch vielmehr darum, Batterien in dezentrale Versorgungsnetzwerke einzubinden. Nur wenn man die Energie- und Verkehrswende zusammen denkt, nur dann machen Autos mit elektrischem Antrieb wirklich Sinn. Sie sind dann Teil einer neuen, dezentralen Energieversorgung und Teil einer neu definierten, öffentlichen Verkehrslandschaft. Damit lassen sich Privilegien und auch öffentliche Zuzahlungen begründen und damit lassen sich auch Geschäftsmodelle rechnen.
Freilich braucht es dazu ein systemisches Verständnis von Elektromobilität, man muss bisher Getrenntes zusammen denken. Das erfordert Mut, sich von alten Vorstellungen zu verabschieden.
Dr. Weert Canzler // Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)
www.wzb.eu
Prof. Dr. Andreas Knie // Innovationszentrum für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ)
www.innoz.de
NEUE MOBILITÄT 07 // April 2012 // Seite 104-105

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