Porträt von BEM-Präsident Kurt Sigl beim Tagesspiegel Background

Erschienen am 24.08.2020 im Tagesspiegel Background / Jens Tartler
Der 08. September könnte zu einer Wegmarke im Veränderungsprozess der deutschen Autoindustrie werden. Kurt Sigl, der Präsident des Bundesverbandes eMobilität (BEM), wird sich in den Zug vom heimischen Ingolstadt nach Berlin setzen, um in der Hauptstadt Hildegard Müller zu treffen. Die frühere CDU-Staatsministerin im Kanzleramt ist Chefin des VDA, des mächtigen Verbandes der Automobilindustrie. Seit Gründung des BEM im Jahr 2009 war es deutschen Autoherstellern durch den VDA untersagt, Mitglied des neuen Verbandes für Elektromobilität zu werden. Treffen zwischen den Präsidenten lehnte der VDA ab. Dieses Kontaktverbot, das an Nord- und Südkorea erinnert, hat die neue Vorsitzende Müller nun aufgehoben.
Für Sigl ist es eine späte Genugtuung. Der kleine BEM sei viel breiter aufgestellt als der große VDA, sagt er im Telefongespräch mit Tagesspiegel Background. »Wir haben frühzeitig erkannt hat, dass Energie- und Mobilitätswende zusammengehören«, merkt er an. Das war beim VDA lange nicht der Fall. Es trifft sich aber gut, dass Hildegard Müller zuvor als Hauptgeschäftsführerin des Energieverbandes BDEW und Vorstandsmitglied der RWE-Tochter Innogy die Energiewende durchaus befördert hat.
Es ist gerade eine gute Zeit für Sigl. Nach langen Jahren der Mühsal geht es für den BEM bergauf. Die Politik fördert die eMobilität großzügig, wenn auch das Bundeswirtschaftsministerium jüngst für Irritationen gesorgt hat. Endlich steigen die Zulassungszahlen für eAutos, die Öffentlichkeit hat die Bedeutung der Antriebswende erkannt. »Man versuchte immer, uns wegzudrücken«, sagt Sigl. Das sei jetzt anders. »Auch die Mitglieder kommen von allein«, freut er sich.
Bosch, ZF, Mitsubishi, Nissan, Renault und Jaguar schon Mitglieder
Wenn man von der auffallenden Lücke durch die deutschen Autohersteller absieht, kann sich die Mitgliederliste des BEM sehen lassen. Sie umfasst 40 natürliche Personen und 300 Unternehmen. Ausländische Autobauer wie Mitsubishi, Nissan, Renault und Jaguar haben keine Berührungsängste, ebenso deutsche Zulieferer wie Bosch, ZF und BMZ. Die eRoller-Hersteller Kumpan und Emco sind dabei, der Berliner Entwicklungsdienstleister IAV, aber auch die Allianz-Versicherung, die ökologisch orientierte GLS Bank sowie die Energieversorger GP Joule und Maingau.
Der BEM hat jeweils drei Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in Ingolstadt und Berlin, außerdem kooperiert er mit ähnlichen Verbänden in acht europäischen Nachbarländern. Im parlamentarischen Beirat sitzen Abgeordnete aus allen im Bundestag vertretenen Parteien außer der AfD. Doch die lehnt ja ohnehin eMobilität und erneuerbare Energien offen ab.
Aber auch bei den verschiedenen CSU-Verkehrsministern hat Sigl wenig Gehör gefunden. Peter Ramsauer nahm ihn zwar mit auf eine Delegationsreise nach Japan, dann passierte aber nicht mehr viel. Am schlimmsten sei Alexander Dobrindtgewesen, erzählt Sigl. Völlig beratungsresistent und dazu überheblich: Bei einem Gespräch am Rande einer Veranstaltung habe der Minister überhaupt nicht zugehört und am Schluss gesagt, seine Sekretärin habe »alles notiert«. Im Übrigen sei er sich sicher, dass das Thema eMobilität »nicht interessant wird«.
Bei Andreas Scheuer sei es »gut losgegangen«. Aber nach drei Monaten habe es einen CSU-Parteitag gegeben, danach sei der Minister nicht mehr erreichbar gewesen. Eigentlich habe Scheuer sich dafür einsetzen wollen, dass eRoller statt 45 Stundenkilometer 60 fahren dürfen, um im Stadtverkehr besser mitschwimmen zu können. Aber auch das sei wie alles andere liegengeblieben.
Große Stücke hält Sigl dagegen auf Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU). Mit dem habe er in mehreren »Leuchtturmprojekten« in Afrika, Indien und Südamerika erreicht, dass dort insgesamt 100.000 eBusse fahren.
In Deutschland geht dem BEM-Präsidenten alles zu langsam. Es sei enttäuschend, dass die Reform des Wohnungseigentumsmodernisierungsgesetzes (WEMoG) und des Gebäude-Elektromobilitätsinfrastruktur-Gesetzes (GEIG) nicht mehr vor der Sommerpause durch den Bundestag gegangen sei. Dadurch verzögere sich der Ausbau der Ladeinfrastruktur in Gebäuden.
Audi e-tron mit 2,6 Tonnen Gewicht der falsche Weg
Es gebe zwar eine üppige Förderung für eAutos, aber was nütze das bei Lieferfristen von bis zu einem Jahr, fragt Sigl. eSUVs wie den Audi e-tron mit 2,6 Tonnen Gewicht hält der Ingolstädter ohnehin für den völlig falschen Weg. Andere Länder würden auch eRoller, eBikes und elektrische Kleinfahrzeuge finanziell unterstützen – das sei viel sinnvoller. Plug-in-Hybride würde er aus der Förderung ganz »rausschmeißen«. Oft genug liege das Ladekabel noch eingeschweißt im Kofferraum.
Die deutsche Autoindustrie findet der begeisterte Tesla-Fahrer Sigl viel zu träge, die Prozesse dauerten zu lang. Das eLieferfahrzeug Streetscooter sei eine gute Idee gewesen, Unternehmensgründer und RWTH-Professor Günther Schuh sei aber Opfer seiner Arroganz und Beratungsresistenz geworden. Möglicherweise könne Streetscooter aber doch noch gerettet werden. Für Schuhs Kleinwagenhersteller, der gerade in einem Insolvenzverfahren steckt, sieht Sigl dagegen schwarz: »Der E.Go ist eine Fehlkonstruktion, zu schwach und von der Verarbeitungsqualität her zu billig.« Kein Vergleich etwa zu einem VW e-up. Dem gerade auf den Markt gekommenen VW ID.3 wünscht Sigl »allen denkbaren Erfolg«, vor der Strategie der Wolfsburger hat er »höchsten Respekt«. Von BMW dagegen ist er enttäuscht, die Münchner hätten zwar früh mit der eMobilität angefangen, unter dem zwischenzeitlichen Chef Harald Krüger aber schwer nachgelassen.
Dass Sigl zu den Pionieren der Elektromobilität in Deutschland gehört, ist eigentlich erstaunlich. Als junger Mann hat er wenig von Avantgarde. Der Ingolstädter wird Schreiner und später Berufsschullehrer für Holz- und Bautechnik. Als der Freistaat Lehrerstellen abbaut, trifft es ihn als Jüngsten an seiner Schule. Der passionierte Motorradfahrer nutzt seine Kontakte zu Audi. Für den Autohersteller hatte er schon nebenberuflich Fahr- und Sicherheitstrainings gemacht. Jetzt baut er ein Zentrum auf, das sich heute modisch »Driving Experience« nennt. Von 1985 bis 1993 beschäftigt er sich mit dem Thema, das ihm noch heute wichtig ist. In anderen EU-Ländern seien solche Schulungen für junge Leute zwischen 18 und 24 Jahren verpflichtend. 600 Verkehrstote pro Jahr ließen sich so in Deutschland verhindern, ist Sigl überzeugt.
Weil es ihm bei Audi nicht zügig genug vorangeht, steigt Sigl aus und arbeitet als freiberuflicher Trainer, etwa für die Vorstandsfahrer der Hypovereinsbank. Auch umweltfreundliches Fahren unterrichtet er, außerdem ist er Ko-Moderator bei Autosendungen im Privatfernsehen.
In Laguna Seca entdeckt er elektrische Motorräder
Seine wahre Bestimmung entdeckt Sigl aber in Kalifornien: Neben seiner Lieblingsrennstrecke in Laguna Seca sieht er in den Dünen Enduros herumfahren. Er hört sie aber nicht. Sie fahren mit Strom. Sofort importiert Sigl sechs Maschinen vom Hersteller Zero, um sie auf seinem Trainingsgelände in Ingolstadt einzusetzen. Doch als er die Bikes 2009 zulassen will, bescheidet ihn das Finanzamt: In Deutschland können Motorräder nur nach Hubraum besteuert werden. Punkt.
Es beginnt eine Odyssee zur Finanzbehörde in München und zum Bundesfinanzministerium in Berlin. Beide lassen ihn abblitzen. In seiner Wut wendet sich Sigl an einen Stammtisch für eMobilisten in Pforzheim. Auch die wissen von vielen praktischen Problemen zu berichten und schauen wehmütig nach Österreich, wo das alles viel besser läuft. So entsteht die Idee, den BEM zu gründen.
In den ersten Jahren wird Sigl wie ein Aussätziger behandelt – vor allem in seiner Heimat. Beim Mittagessen in einem Ingolstädter Restaurant drohen Audi-Managerihm und seiner Familie mit »Konsequenzen«, weil er sich für die »Scheiß eMobilität« einsetzt. Auf Sigls Tesla wird »eArschloch« geschmiert und gekotzt.
Auf einer Veranstaltung der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft mit 500 Unternehmern im Publikum erklärt der Präsident, seine wichtigste Aufgabe sei es, die Firmen »vor der eMobilität zu schützen«. Die damalige CSU-Wirtschaftsministerin Ilse Aigner pflichtet ihm bei.
Seitdem hat sich zumindest einiges verbessert. Flottenmanager von Unternehmen bestellen immer mehr eAutos. »Die haben es längst verstanden«, sagt Sigl. Die oft angeführte zu geringe Reichweite hält er für eine faule Ausrede: »Auch der Handelsvertreter geht mal mittagessen und kann dann laden.« Aber selbst der BEM-Präsident will auf keinen Fall die 47 Millionen Pkw mit Verbrennungsmotor in Deutschland durch 47 Millionen eAutos ersetzen. Es sei viel sinnvoller, wenn sich viele Menschen ein Auto teilen würden. Man müsse ihnen zeigen, dass sie »völlig unproblematisch über das Handy ihre Mobilitätsbedürfnisse abdecken können«.
Sigl, seine Frau – eine Airbus-Ingenieurin – und die beiden erwachsenen Söhne Max und Moritz haben noch eigene eAutos, die sie in der Innenstadt laden. In seiner Freizeit fährt der 62-Jährige gerne Motorrad. Nächstes Jahr will er sich auch für lange Strecken ein elektrisch angetriebenes Modell von Zero kaufen. Dann wird die BMW ausrangiert.
Vier Fragen an Kurt Sigl:
1. Welches Auto kaufen Sie als nächstes?
Im Moment fahre ich einen Tesla Model 3. In drei Jahren kaufe ich mir ein kleineres Auto, entweder einen Microlino oder einen Sion von Sono Motors.
2. Wie halten Sie es mit dem Fliegen?
Seit zwei Jahren fliege ich so gut wie gar nicht mehr; 2019 zum Beispiel nur einmal. Seit drei Jahren bin ich begeisterter Bahnfahrer.
3. Wer gibt in der Mobilitätsbranche das Tempo vor?
Tesla.
4. Wo würden Sie gerne das Rad neu erfinden?
Ich würde mir mehr Innovationsfreude und eine positivere Einstellung gegenüber Innovationen wünschen. Die Start-up-Szene in Deutschland ist eine Katastrophe.
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