Scheinlösung grüner Wasserstoff

20. April 2020 / Tagesspiegel Background / Interview mit Dorothee Saar von der Deutschen Umwelthilfe
Die Bundesregierung arbeitet immer noch an ihrer Nationalen Wasserstoffstrategie. Die Gefahr: Selbst grüner Wasserstoff ist im Straßenverkehr eine Scheinlösung und kann wirksamen Klimaschutz ausbremsen. Und klimaneutrale eFuels werden auch bei optimalem Hochlauf in den nächsten zehn Jahren nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen.
Im Windschatten der Coronakrise erleben wir einen Großangriff auf den Klima- und Umweltschutz. Gerade im Verkehrssektor wird er besonders vehement geführt. Weltweit nutzen Öl- und Autolobby die Krise, um klimafreundliche Verkehrspolitik zu torpedieren oder bereits beschlossene Maßnahmen wieder rückgängig zu machen. Die FDP fordert offen eine Aussetzung der europäischen CO2-Flottengrenzwerte für Neuwagen – dem europaweit entscheidenden Instrument zur Emissionsreduktion im Straßenverkehr. Der europäische Automobilverband Acea wirbt bei der EU-Kommission für „einige Anpassungen“ bei den Zeitplänen der CO2-Gesetzgebung.
Aber womöglich sind die weniger offensichtlichen Vorstöße noch gefährlicher. Paradebeispiel ist der Versuch, ‚emissionsarme‘ Kraftstoffe wie Wasserstoff und eFuels auf die CO2-Flottengrenzwerte anzurechnen. Der VDA wirbt massiv dafür, ebenso die deutsche Ölindustrie. Auch das Bundeswirtschaftsministerium macht sich im Rahmen der Wasserstoffstrategie dafür stark.
Anstatt unter wachsendem Handlungsdruck eine Fata Morgana anzusteuern, brauchen wir einen zeitnahen vollständigen Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. Da ist keine Zeit, um auf Wunderkraftstoffe zu warten. Es wäre hochgradig unverantwortlich, unter dem Deckmantel der aktuellen Gesundheits- und absehbaren Wirtschaftskrise Maßnahmen zu beschließen, die die globale Klimakrise verschärfen – zumal die nötige Transformation der Automobilwirtschaft bereits lange vor Corona bekannt war. Der Neustart nach Corona muss in einen grünen Strukturwandel münden.
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