Status Nutzfahrzeuge 2020: Alles auf eine Karte?
April 2021 / Veröffentlichung von BEM-Fachbeirat Markus Lienkamp
Das Thema Nutzfahrzeuge beschäftigt mich seitdem ich bei Volkswagen in der Nutzfahrzeugentwicklung seit 1996 tätig war. Wir haben dort nur die kleinen Nutzfahrzeuge bis 4,6 Tonnen entwickelt, aber recht schnell durch Zukäufe auch Kontakt zu den Kollegen der beeindruckenden 40 Tonner bekommen. Wer schon einmal so ein Fahrzeug gefahren ist, weiß, welche Masse und Urgewalt an Antrieb so ein Fahrzeug bedeutet. Dementsprechend schwer fiel mir die Vorstellung, so ein Fahrzeug für die Langstrecke elektrifizieren zu können. An unserem Lehrstuhl untersuchen wir bereits seit acht Jahren, wie schwere Nutzfahrzeuge auf Langstrecke den CO2-Ausstoss reduzieren können. Unser erstes Projekt haben wir im Auftrag und zusammen mit Michelin durchgeführt. Dabei stand die Frage im Vordergrund, was neue Lkw-Konzepte für den Reifen bedeuten würden. Damals waren wir schon froh, einen etwas längeren Lkw vorschlagen zu können, bei dem mehr Volumen in einem Lkw untergebracht und bei etwa gleichem Luftwiderstand der Verbrauch in Liter pro Kubikmeter transportierter Ladung reduziert werden konnte. Das weitergehende Konzept des nochmals längeren Lang-Lkw haben wir zusammen mit der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt) untersucht und festgestellt, dass von den Lang-Lkw, entgegen vieler Befürchtungen, keine erhöhte Sicherheitsgefahr ausgeht. Parallel zu diesen Projekten haben wir uns zusammen mit Siemens auch mit rein elektrischen Lkw beschäftigt, die über einen Pantographen per Oberleitung mit Energie versorgt wurden. Dadurch kann die Batterie erheblich verkleinert werden.
Das Nachfolgeprojekt Truck 2030 von 2015-2019, das uns die Bayerische Forschungsstiftung finanzierte, sollte den CO-Ausstoss bis 2030 so weit wie möglich reduzieren. Mit einem Lang-Lkw und aerodynamischen Maßnahmen, rollwiderstandsreduzierten Reifen und einem Hybridantrieb auf Dieselbasis konnten wir gegenüber heutigen Lkw den Verbrauch, gemessen in l/m³, um 40 % reduzieren. Das aber nur, wenn der Lkw weitgehend voll beladen Volumentransporte durchführt.
Das Ziel, CO2-frei zu werden, erschien uns für den 40 Tonnen Langstrecken Lkw unerreichbar: Batterien würden die Zuladung erheblich verringern und Superschnellladestationen schienen unrealistisch. Wasserstoff erfordert eine neue Infrastruktur und würde die Anschaffungs- und Betriebskosten erheblich erhöhen. Zudem erscheinen technische Probleme, wie die Lebensdauer von Brennstoffzellen, noch ungelöst. Oberleitungen oder Induktionslösungen würden eine enorme Investition in die Infrastruktur erfordern und müssten europaweit angeboten werden. Die elegante Lösung der synthetischen Kraftstoffe ist aufgrund des hohen Energieeinsatzes in der Herstellung enorm teuer.
In verschiedenen Arbeitskreisen wie der Acatech und der Nationalen Plattform Mobilität haben wir intensiv mitdiskutiert und vor allem gemeinsam eine verlässliche und abgestimmt Datengrundlage für alle in diesem Buch folgenden Berechnungen geschaffen. Diese Parametrierungsdaten haben wir in König et al. (2021) veröffentlicht. Die Fachwelt war sich einig, dass Steuern und Subventionen bei der ersten technologischen Betrachtung keine Rolle spielen dürfen. Später können diese natürlich als Lenkungswirkung für die technologisch erfolgversprechendste Technologie eingesetzt werden.
Darauf basierend haben wir alle in Frage kommenden Antriebs- und Energiespeicherarten in Hinblick auf CO2-Ausstoss, weitere Umweltbelastung und Kosten des Lkw untersucht. Recht schnell zeigte sich, dass bei Lkw nur eine Lösung in Frage kommt, die in ganz Europa funktioniert. Somit mussten wir den Untersuchungsraum auf die Installation und den Betrieb der Infrastruktur ausweiten. Damit können wir alle Antriebs- und Speicherkonzepte fair vergleichen und die Grundlage für die weiteren Überlegungen legen. Mit dem vorliegenden Buch glauben wir, eine neutrale und wissenschaftlich fundierte Basis für die weitere Diskussion zu legen. Wir freuen uns über Rückmeldungen und Anregungen zu diesem Buch.
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