Wettbewerblicher Dialog für Ladeinfrastruktur in Berlin

Eine europaweite Ausschreibung soll echte Innovationen hervorbringen
Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, dass bis zum Jahr 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf Deutschlands Straßen verkehren. Um dieses Ziel auch nur ansatzweise zu erreichen, müssen Lademöglichkeiten in ausreichendem Umfang entstehen. Ein Großteil der Ladeeinrichtungen dürfte im privaten Bereich errichtet werden, weil die Standzeiten von Fahrzeugen zu Hause oder am Arbeitsplatz vergleichsweise lang sind und sich deswegen für eine Ladung besonders gut eignen. Den Aufbau von Ladeinfrastruktur jedoch auf den privaten Bereich zu beschränken, hieße den Erfolg der Elektromobilität insgesamt in Frage zu stellen. Potenzielle Nutzer wollen sich »sicher« fühlen und unabhängig von einer Nutzung im Einzelfall jederzeit eine für sie geeignete Ladeeinrichtung erreichen können. Zudem muss Elektromobilität in der Öffentlichkeit sichtbarer werden.
Das Land Berlin hat sich vor diesem Hintergrund entschlossen, im Zusammenhang mit dem »Internationalen Schaufenster für Elektromobilität« der Region Berlin-Brandenburg eine öffentlich zugängliche Ladeinfrastruktur europaweit auszuschreiben. Bis Ende des Jahres 2013 sollen ca. 300 Ladeeinrichtungen, bis Ende des Jahres 2015 sogar 800 Ladeeinrichtungen in Betrieb sein. Der Begriff der Ladeeinrichtung ist dabei bewusst weit zu verstehen. Angesichts bislang noch nicht etablierter Geschäftsmodelle kommen hierzu neben »klassischen« Ladesäulen (mit zwei Ladepunkten) auch andere Ladeoptionen, wie etwa Wallboxen, Schnellladestationen oder Ladeeinrichtungen an bestehenden Beleuchtungsanlagen in Frage. Ob solche Ladeeinrichtungen dann im öffentlichen Straßenraum oder halböffentlich, also auf einem privaten, aber frei zugänglichen Grund, errichtet werden, ist nicht entscheidend.
Das Land Berlin reagiert damit auf zweierlei
• den Hinweis potentieller Betreiber von Ladeeinrichtungen auf die mangelnde Wirtschaftlichkeit einer Infrastruktur im öffentlich zugänglichen Raum sowie
• den bislang sehr zurückhaltenden Einsatz von Elektrofahrzeugen durch Carsharing-Unternehmen, weitere Flottenbetreiber und sonstige Fahrzeughalter.
Das Land wird den Auftrag im Rahmen eines wettbewerblichen Dialogs vergeben, § 101 Abs. 4 GWB. Dieses vergleichsweise selten genutzte Vergabeverfahren ist geeignet, wenn der öffentliche Auftraggeber zwar das gewünschte Ziel definieren, jedoch noch nicht in allen Details vertraglich regeln kann. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn vergleichbare Aufträge bislang so nicht vergeben worden sind und der zu vergebende Auftrag aufgrund seiner Komplexität und mangels etablierter Geschäftsmodelle in diesem Bereich einer vertieften Erörterung mit jedem individuellen Bieter bedarf.
Der wettbewerbliche Dialog ist damit als »Entdeckungsverfahren« zu verstehen, in dem das Land Berlin mit den im Rahmen einer Eignungsprüfung ausgewählten Bietern individuell unterschiedliche Geschäftsmodelle für die Lieferung und die Errichtung der Ladeinfrastruktur entwickelt. Diese sollen einen möglichst wirtschaftlichen Betrieb der Ladesäulen erlauben und den staatlichen Zuschussbedarf möglichst gering halten. Dem Land ist dabei bewusst, dass der Einsatz staatlicher Mittel zunächst unvermeidbar ist. Großes Interesse besteht aber an Ansätzen, die sich zwar kurzfristig nur mit einer staatlichen Förderung umsetzen lassen, sich aber mittel- und langfristig als selbsttragend erweisen können. Deswegen soll Gegenstand der Ausschreibung nicht nur der reine Betrieb von Ladesäulen sein. Auch angrenzende Geschäftsmodelle, die den Ladevorgang in eine größere Wertschöpfungskette einbinden, verdienen Interesse. Das Verfahren bietet auf diese Weise nicht nur den etablierten Energieversorgungsunternehmen eine Chance, sondern auch Unternehmen mit innovativen Ideen im Bereich der Elektromobilität. Ganz bewusst wird das Land den Auftrag nicht nur in einem Los vergeben. Dies ermöglicht den Zuschlag auf verschiedene Bieter und adressiert damit zugleich wichtige Fragen zur Interoperabilität verschiedener Ladeeinrichtungen.
Das gewählte Verfahren begegnet damit in überzeugender Weise dem Bedarf an einer echten Innovation für die Errichtung und den Betrieb von Ladestationen. Zur Zeit finden die vertraulichen Verhandlungen des Landes Berlin mit den beteiligten Bietern statt. Wenn die Ergebnisse der Ausschreibung im Sommer diesen Jahres vorliegen, können die neuen Konzepte einer größeren Öffentlichkeit vorgestellt werden.
Es dürfte sich dann eine Vielzahl an Erkenntnissen ergeben haben, die auch anderen Kommunen für die Erweiterung ihrer Mobilitätskonzepte zur Verfügung stehen.
Dr. Christian de Wyl und Dr. Roman Ringwald
⇢ Becker Büttner Held

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